Das entblößte Menschenherz

Wahrscheinlich wird hier eh nie etwas stehen. Der Titel des Blogs entspringt meiner verfälschten Erinnerung an den Titel des Werks „Das enthüllte Menschenherz“ von Retif de la Bretonne (1734-1806).
Darin schildert Retif sein eigenes Seelenleben; alles soll an die Oberfläche gekehrt, alles beleuchtet werden. Das Schöne wie das Hässliche. Nichts ausgelassen. So zumindest stelle ich mir sein Werk vor. Gelesen habe ich es nicht. Aber diese Vorstellung gefällt mir. Eine Art aufklärerisches Ideal. Sich selbst obduzieren. Mit Schwächen und Stärken, Makel und Glanz.

Hier liegt der Widerstreit: Ich sehe darin nur Vernunft. Keine Scham zu haben. Keine Angst. Das erlebte Schildern. Vom Scheitern berichten. ‚Nein ich habe meine Komfortzone nicht verlassen! Hier schaut her! Bitter bin ich geworden. Hässlich und schlecht hat es mir den Charakter gemacht!‘ Und in der Tat. Zuweilen bin ich ein hässlicher, bitterer Mensch. Aber mein Herz schlägt auch für die Toleranz. Für das Verstehen. Für die Offenheit.
Ich leide an Ängsten. Ich fürchte Ablehnung. Ich entfalte mich nicht. Ich scheue Konflikte. Aber diese Ängste überzeugen mich nicht. Ich halte sie für größtenteils schädlich. Unvernünftig. Und doch scheitere ich oft an ihnen. Wie ein Affe bin ich meinen Emotionen ausgeliefert, obwohl ich mir ihrer bewusst bin. Ich bin mir sogar meines Ausgeliefertseins bewusst. Das ist eine ganz eigene Art von vertrackter Hölle. Eine Figur Dostojewskis würde jetzt anfangen von einer Art Süße zu sprechen, die nur in solch einem Schmerz zu finden sei. Und Recht hätte sie. Aber ich bin ziemlich satt davon.
Retif inspiriert mich. Es ist jetzt ohnehin, wie wahrscheinlich immer, eine Zeit voller Ängste, Tabus, Zwänge, Masken, Filter und Trends. Aber es ist auch eine Zeit der Freiheit, des Friedens und der Chancen.

Wie gesagt wird hier wahrscheinlich eh nie etwas stehen. Erwarte nichts, schon gar nichts schönes. Ich bin ein Affe und spiele Schach gegen mich selbst. Wenn ich das nächste Mal das Gefühl habe, an meinem Scheitern, an meinen Ängsten zu zerbrechen, und aus dieser Verzweiflung einen Schub an Motivation zur Änderung bekomme, dann habe ich hier einen Platz, feige, einen meiner Minischritte Richtung Mut zu gehen.


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